Ecuador 2022 (2)


Tag 9 (10. November)


 

Morgens spazierte ich in den "Stadt"kern von Zumba zum öffentlichen Markt und bestellte an einem Saftstand einen Ananas-Orangensaft und ein Toastbrot mit Käse. Das war lecker, erzählenswert ist aber die niedliche Situation, dass sich die beiden Marktfrauen des Saftstandes sich zu mir an meinen Monoblocktisch auf zwei Monoblockstühle setzten obwohl 8 andere Tische nebenan frei waren. Nach Außen hin unterhielten sie sich miteinander über Schminktipps, aber sie saßen halt einfach mit an meinem Tisch und schauten immer wieder verstohlen zu mir und meinem Saft. Zumba ist ganz offensichtlich kein touristischer Ort und noch seltener verirren sich Exoten wie ich in die sehr kleine Markthalle. Um den Beiden eine Freude zu machen, bezahlte ich statt mit zwei ecuadorianischen 1-Dollar-Münzen mit zwei US-1-Dollar-Scheinen. Ich war mir bewusst, dass mich das endgültig zum Objekt von großer Neugier machte. So war es auch. Die beiden Frauen zeigten die Scheine sofort im ganzen Markt herum und alle Marktfrauen kicherten. Es ist sehr schön, wenn ein Tag so beginnt.

Um 8 Uhr fuhren wir mit Victor Hugo Zarate (Präsident der ACRIM) und Vicente Troya (Administrator) zur neuen Verarbeitungsanlage der ACRIM. Ich war tatsächlich 4 Jahre nicht hier und habe viele Entwicklungen verpasst. So auch die Eröffnung dieser sehr guten Struktur etwas außerhalb der Innen"stadt" Zumbas. Es gibt große Trocknungshallen, gute Maschinerie auch zum Verarbeiten von Naturals (für den lokalen Markt relevant), sehr ordentliche Büro- und Versammlungsräume und einen eigenen 5 Tonner LKW zum Abholen von Kaffee direkt bei den Produzent*innen. Das stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der Kooperative anderen Käuferinnen gegenüber. Diese fahren auch alle mit Trucks herum und verschenken dann noch Schnapps an den Fincas.

 

Uns wurde erläutert, dass bisher tatsächlich nur 35 % der von den eigenen Mitgliedern zugesagten Menge Kaffees eingebracht wurde. Wobei die Ernte fast vorbei ist. Die hohen Weltmarktpreise sorgten dafür, dass ein sehr großer Teil der Produzent*innen den Kaffee lieber als "Bola" an herumreisende Aufkäufer verkaufte. Bola sind traditionelle Naturals. Also Kaffee, der einfach irgendwie (reif, unreif, überrreif, heil, schadhaft, mit Insektenbefall oder mit Schimmel, egal wie) vom Busch abgerupft wird und dann irgendwo zum Trocknen hingeschmissen wird. Das sensorische Ergebnis kennen alle von euch, die manchmal Instantkaffee getrunken haben. Dieser Kaffee vereint alle mir bekannten sensorischen Fehler und Ekelhaftigkeiten wegen derer viele keinen Kaffee zu mögen glauben in einer Tasse. Der Verkauf von Bola gibt zwar ein Drittel weniger Geld als der Verkauf von sorgfältig behandeltem Kaffee an die Kooperative, bedeutet aber sehr viel weniger Arbeit. Und auch mehr Geld als in den Jahren zuvor reinkam, da auch niedrigste Qualität mit verkauft werden kann. Außerdem sind hier viele Pflanzen überaltert und etliche Produzent*innen haben in den letzten beiden Jahren alte unproduktive Büsche herausgerissen und durch neue Pflanzen ersetzt die aber noch nichts tragen. Insgesamt ist die fehlende Loyalität von etlichen Produzent*innen ihrer eigenen demokratischen Struktur gegenüber aber sehr erschreckend.

 

Wir machten uns auf den Weg zu einer neuen Produzent*innengruppe in der Region "Jesus del Gran Poder", mit dem Truck ca. 2 Stunden Feldweg von Zumba entfernt. Die Hälfte dieses Feldweges mitten durch die Anden wurde erst letztes Jahr gebaggert, dementsprechend schrecklich und furcheinflößend war der Zustand der "Straße" trotz Trockenheit. Bei Regen oder gar Regenzeit ist diese Straße noch nicht mal unter Lebensgefahr befahrbar. Heute war sie also nur ein sehr großes Abenteuer für unerschrockene Fahrgäste.

 

Die ACRIM besteht aus 9 regionalen Produzentinnengruppen, die jeweils alle jeden Monat eine Vollversammlung abhalten, um ihre Beschlüsse zu fassen und auch einmal im Monat eine*n Delegierte*n zur Delegiertenversammlung der ACRIM schicken. Vollversammlungen aller Mitglieder finden zweimal jährlich statt, um die wichtigsten Dinge zu besprechen und die wichtigsten Beschlüsse zu fassen. Es handelt sich also wahrlich um eine demokratische Struktur.

 

Wir wurden von den 13 Mitgliedern der neuen Regionalgruppe begrüßt und sprachen eine Weile miteinander über unsere jeweilige Arbeit und unsere jeweiligen Vorstellungen der Kooperation. Das Ganze war besonders spannend, da die Leute hier noch nie Kaffee über die ACRIM exportiert hatten. Sie sind nun im dritten Jahr der Umstellung auf Bio-Anbau und werden ab 2023 dann auch offiziellen Biokaffee u.a. für uns abgeben können. Dementsprechend neugierig begegneten sie uns hier und dementsprechend besonders war unser Besuch für sie.

 

Die Gegend ist extrem abgelegen. Bisher war jeder Weg immer mit mindestens 3 Stunden Maultierpfad pro Richtung verbunden. Erst seit 4 Jahren gibt es in einigen Häusern Elektrizität. Mobiltelefonempfang ist mindestens zwei Wegstunden entfernt. Schulen sind nur in sehr einfacher Form zu finden. Da erstaunt es nicht, dass die neuen Mitglieder hier schwierige Bedingungen gewohnt sind und ein dementsprechendes Selbstbewusstsein haben. Das ist schön zu sehen. Und auch schön zu sehen sind die Früchte der extrem harten Arbeit der Menschen hier. Die Ergebnissen von 12 Stunden härtester manueller Feldarbeit pro Tag sind hier allgegenwärtig. Neuerdings auch feinste Kaffeevarietäten wie Geisha, Typica und Sidra-Bourbon neben den bisher üblichen auf Ertrag optimierten Sorten. Für uns wurde heute mal wieder deutlich, wie hart der kleinbäuerliche Anbau von Kaffee meist ist und dass der Kaffee auch durch uns immer noch viel zu billig bezahlt wird. Auch wenn wir mehr, verbindlicher und schneller zahlen als alle anderen uns bekannten Kaffeehändler.

 

Wir aßen auf der Finca des Präsidenten der Gruppe gebratenes Gartenhähnchen mit Reis und Yuca und tranken Saft und besuchten 4 Fincas um uns den Zustand der Pflanzen anzuschauen. Das war hier hoch erfreulich. Trotz ganz offensichtlichem Bioanbau waren die Pflanzen extrem gesund. Kaum Pilzkrankheiten, kaum Schadinsekten, manuelle "Unkraut"-Bekämpfung mit Motorsensen.

 

Was in so entlegenen Gegenden auch klar wird: für Kaffee wird Urwald gerodet. Darüber zu schweigen würde bedeuten es zu verschweigen. Selbstverständlich würden die Menschen hier sowieso roden (für die Alternativen zu Kaffee - Mais oder Rinder - würde noch viel mehr und schneller gerodet werden), weil sie ja von irgendetwas leben müssen, aber auch Kaffee vernichtet Urwald. Wir werden auf unseren Reisen immer wieder auf solche Widersprüche aufmerksam. Einfache Lösungen gibt es hier ganz klar nicht.

 

Sehr besonders waren drei Fincas von drei Brüdern, die hier mitten in der Wildnis vor 15 Jahren ohne Eltern aufgewachsen sind. Die Eltern waren nach einem Streit einfach beide weggegangen und die Kinder auf sich allein gestellt. Sie liefen jeden Tag vier Stunden zur Schule und verpflegten sich selbst. Nun sind sie alle hier verheiratet und haben jeder eine Finca mit ca. 13.000 Kaffeepflanzen. Das ist für hiesige Verhältnisse sehr viel. Und es ist beeindruckend in jederlei Hinsicht. Wie hart der Weg bis heute gewesen sein muss kann sich jede*r vorstellen. Nachdem ich die Landschaft und die Abgelegenheit hier gesehen habe ist es klar, was für unvorstellbare Abenteuer und Heldentaten die drei erlebt haben müssen.

 

Nach der wieder sehr abenteuerlichen Rückfahrt (echt nichts für schwache Nerven, trotz Trockenzeit) aßen wir beim Dorf "Progreso" im Haus von Vicente sehr leckere Garten-Ente mit Gartengemüse und Garten-Yuca. Dazu gab es Limo und Kaffee aus dem eigenen Garten und zum Nachtisch Honig von den eigenen Bienen. Spät erst waren wir wieder zuhause.