Ecuador 2022


Tage 5 und 6

 

Wir machen Wochenende, der Generalstreik nicht

 

 

Nach den ersten vier aus verschiedenen Gründen anstrengen Reisetagen tat uns ein echtes Wochenende sehr gut. Wir konnten nicht wirklich zu den Kooperativen fahren und mit ihnen Dinge erledigen. Die Barrikaden wurden am Wochenende nicht weniger und unsere Freund*innen von Jatari und Waylla Kuri möchten auch Zeit mit ihren Familien verbringen.

 

Im Parlament wird seit 2 Tagen ein Absetzungsantrag gegen den amtierenden Präsidenten Lasso verhandelt. Der Antrag dazu kam von der größten Partei im Parlament UNES des ehemaligen linkspopulistischen Präsidenten Raffael Correa. Das nimmt dem Generalstreik ein wenig den Wind aus den Segeln, übers Wochenende waren die Proteste auch daher friedlicher. Viele Protestierende bemängeln, dass es gar nicht um die Absetzung geht, sondern um die zehn Forderungen und fühlen sich daher durch den nicht abgeprochenen Antrag verarscht. Der UNES wird vorgeworfen, die Stimmung für sich ausnutzen zu wollen.

 

Außerdem wurde der Druck immer größer, den Ausnahmezustand aufzuheben. Das geschah auch am Samstag, das Militär ist in die Kasernen zurückgekehrt, die Ausgangssperren wurden aufgehoben. Das Militär und die Polizei haben das indigene Kulturzentrum wieder verlassen und es ist wieder in die Hände der Protestierenden zurückgekehrt.

 

Der Streik geht selbstverständlich weiter. Keine der 10 Forderungen wurde konkret durch die Regierung beantwortet. Insbesondere die Forderung nach dem Stopp der Ausbeutung von Bodenschätzen in indigenen Gebieten und Quellgebieten ist in unserer Weltordnung wohl sowieso revolutionär.

 

 

Versuchen wir uns also einmal in die Rolle der Indigenen zu versetzen:

Seit 500 Jahren mordet und versklavt der weiße Mann unsere Völker. Zwingt uns seine Religion auf. Bekämpft uns mit allen Mitteln und möchte uns ausrotten. Beraubt uns unserer Reichtümer, vertreibt uns aus unserer angestammten fruchtbarsten Heimat in die unwirtlichsten Gegenden (Andenhochland und Amazonastiefland) und zerstört unsere Kultur. Heute tut er so, als sei alles demokratisch, behandelt uns aber in jeder Beziehung als Menschen zweiter Klasse. Akzeptiert unsere Sprache nicht. Verkauft aber unseren Grund und Boden (und alles in der Erde darunter) an Investoren. Diese verseuchen unsere Umwelt durch Bergbau und Mineralölförderung. Holzen hunderte Quadratkilometer unserer Heimat ab und pflanzen sie mit Palmölplantagen voll. Wir bekommen noch nicht einmal Krümel davon ab, nicht mal Arbeitsplätze. Die Gewinne gehen in die EU, die USA, nach Kanada und nach China. Der Staat erhöhte die monatliche Sozialhilfe als einziges Zugeständnis an die Proteste von 50 auf 55 Dollar pro Monat (bei einer Inflation von 20 %) und begreift jede Form von Sozialpolitik einzig als Kostenfaktor. Wenn ich kein eigenes Land habe, kann ich mir nur noch Reis ohne Salz kochen. Der Präsident besitzt laut den "Panama-Papers" über 150 illegale Immobilen im Ausland. Das Verfassungsgericht frisst ihm aus der Hand und sieht keine Probleme bei offensichtlichster Korruption. Drogenkartelle kaufen sich im ganzen Land weitere Politiker und morden überall ungestraft. Warum sollen wir mit dem Streik aufhören? Es gibt nichts zu verlieren. Kämpfen ums Überleben müssen wir ja sowieso jeden Tag.

 

 

Zurück zu meiner Reise. Samstag verbrachte ich den Vormittag nach einem Frühstück auf dem Markt (Milchreis und Käsetortilla, ja es gibt nach 12 Tagen endlich wieder Käse, Lebensmitteltransporte werden nun durchgelassen) mit dem Schreiben dieser Onlineberichte über den 4. Tag der Reise und von quijote-internen technischen Berichten. Mittags gab es auf dem Markt reisgefüllte Blutwurst und einen frittierten Ball aus Speck und grünen Bananen. Danach hingen wir den ganzen Tag rum und tranken Rum.

 

Sonntag mieteten wir uns frühmorgens (davor Frühstück auf dem Markt: Käse-Tortillas) mit anderen zusammen einen Kleinbus und fuhren 40 km Dofstraßen nach Westen (ohne Sperren, die Straßen haben keine wirtschaftliche Bedeutung) zur "Laguna Azul". Das ist eine wunderschöne von der dortigen Kichwa-Gemeinde selbstverwaltete Lagunen- und Wasserfalllandschaft am Ufer des vom Cotopatxi kommenden reißenden Rio Jatunyacu. Wir ließen uns Wsserfälle runtertreiben und plantschten in den Lagunen. Aßen ein paar gegrillte Chontakuro-Maden und fuhren zurück nach Tena. Auf dem Markt aß ich zu mittag Caldo 31. Dieser Eintopf aus Rinderresten wurde traditionell den Landarbeitern vom Boss ausgegeben wenn der Monat zuende ging (31. Tag), damit sie auch mal Fleisch bekommen. Aber eben nur die Reste. So besteht dieser sehr nahrhaften Eintopf aus Yuca, Mais, Zweibeln, Kartoffeln, Chili, Koriander und allem vom Rind, was die Reichen nicht essen wollten. Lunge, Herz, Niere, Leber, Pansen, Darm, Gesicht und Füße. Er war dieses Mal sehr lecker. Die Köchin ist sehr gut, ich komme morgen wieder.

 

Michael und ich machten uns satt auf den Weg zum Casa Bonuccelli um uns mit den dortigen Voluntärinnen zu treffen. Sie betreuen verschiedenste Projekte u.a. in Ahuano und Rukullakta. Wir gingen zusammen in ein wunderschönes stilles Nebental spazieren und genossen die hier intakte Natur und traumhafte Aussichten über den Regenwald hinweg auf die gegenüberliegenden Nationalpark-Berghänge voller Urwälder hinter denen die Sonne unterging.

 

Das war´s schon. Morgen geht es sehr früh zu Jatari um die neuen Anlagen zu testen und um uns darüber mit unseren Partner*innen auszutauschen.