Ecuador 2022


Tag 4

Der Tag begann wie jeder Tag hier im Regenwald beginnt. Regnerisch. Wir trafen uns um 7 Uhr mit Stalin (!) von der italienischen NGO Maquita. Sie arbeitet mit der anderen italienischen NGO ENGIM Hand in Hand bei unseren Partner*innen von Jatari und Waylla Kuri.

Heute lag der erste Besuch bei Jatari an. Jatari ist die erste Kooperative, von der wir schon 2010 gewaschenen Robusta gekauft hatten. Wir waren als Quijote die ersten Export-Kund*innen der bereits 2007 gegründeten Kooperative und sie waren damals die Pioniere der Verarbeitung von gewaschenem Robusta. Damals noch mit Handentpulpungsmaschinen und Wassereimern, heute Dank unserer langen gemeinsamen Geschichte und der Unterstützung durch NGOs mit allem ausgesattet was sie nur haben könnten. Seit letztem Winter nun auch mit kleiner Rösterei, Cafeteria, Labor und einer Dreschmaschine. So kann der Kaffee hier vor Ort potentiell komplett exportfähig verarbeitet werden. Nur der Export selber und die Verpackung in Säcke würde dann noch über den Kooperativenverband im Süden, FAPECAFES laufen. Diese technischen Fortschritte wollten wir unbedingt anschauen und mit den Mitgliedern der Kooperative die daraus entstehenden Möglichkeiten besprechen.

Der Weg zu Jatari im ca. 40 Strassen- und Flusskilometer entfernten Dorf Ahuano führt über die mit einer massiven Blockade geperrten Hauptbrücke über den Fluss Napo und dann später nochmal zurück über den Fluss mit Kanus. Also rein ins erste Taxi und die ersten 5 Kilometer raus aus Tena zur Brücke. Schon morgens um 7 ist die Blockade von wirklich vielen Menschen besetzt und gut verbarrikadiert. Eine Passage per Taxi undenkbar zumal der Fahrer Angst um sein Auto hat. Direkt vor der Blockade werden wir von einem weiteren Taxi überholt (gleichartiges Taxi, gelber Toyota Hilux Pickup), dieser transportiert eine "Ladung" Demonstrant*innen plus "neue" gebrauchte Autoreifen an die Sperre. Unter lautem Jubel stürmen ein Dutzend Vermummte oder bemalte Leute auf das Taxi zu, begrüßen die Neuen oder die Ablösung und bringen die Reifen an die Barrikade. Alle haben Knüppel, Lanzen oder Macheten. Bedrohlich wirkte auf mich persönlich aber noch niemand in den 4 Tagen an den ca. 60 - 80 passierten Staßensperren. Jedes kurze Gespräch in diesen Situationen war "nett" und gegenseitig verständnisvoll. Auch diesmal gingen wir nach ein paar Begrüßungen einfach hindurch.

Auf der anderen Seite (wie an jeder der Straßensperre) warteten viele, mittlerweile üblichen, Mototaxis. Alle Leute mit einem Motorrad verdienen sich nun durch Personentransport etwas dazu. Die Nutzung kam für uns hier aber nicht infrage, 35 km im Regen ohne Helm auf einem Moped mit uns unbekanntem Fahrern erschien uns allen als keine gute Idee. Wir fragten einen Taxifahrer und kamen ohne weitere Blockaden 35 km an den reißenden Rio Napo im Amazonashafen Punta Ahuano. Es hatte viel geregnet. Durch den Generalstreik ist die kleine Autofähre nicht in Betrieb, wir setzten also per Motor-Kanu über. Auf der anderen Seite brachte uns ein weiteres Taxi zur Verarbeitungsstation von Jatari.

Wir wurden von von ca. 35 Mitgliedern der Kooperative begrüßt. Sie waren schon seit 7 Uhr hier und ernteten gemeinsam Kaffee auf den 4 Hektar des kollektiven Kaffeefeldes hinter der Verarbeitungsstation. Der Erlös dieses Kaffees wird für Gemeinschaftsverpflegung genutzt. Ähnlich wie wir es bei Quijote auch machen. Das war schön zu sehen. Schön zu sehen war auch, wieviele aktive Mitglieder es hier gibt, darunter auch 4 sehr junge neue Leute (3 Männer und eine Frau bei insgesamt ca. 50 / 50 Quote) . Alle freuten sich, mich wiederzusehen nach mehr als 3 Jahren Abwesenheit und ich freute mich auch sehr. Die neuen Maschinen und die Kaffeebar die bald in Betrieb genommen werden soll machen die Leute hier stolz. Es ist so ein großer Fortschritt erkennbar den sie sich mit uns erarbeitet haben. Das hätte ich mir niemals vorstellen können vor 12 Jahren.

Wir ernteten gemeinsam mit vielen Mitgliedern ein paar Zentner Kaffeekirschen, besprachen uns viel und besuchten zwei vorbildlichen Chakras. Unter anderen vom Präsidenten von Jatari Angel Grefa. Er hat auf einem Hektar über 65 Nutzpflanzen, darunter alleine 30 unterschiedliche Bäume. Ebenso bei Frau Morales, sie hat in der Chakra außerdem noch ca. 100 Hühner. Diese bringen momentan noch mehr Geld denn je, durch den Streik gibt es sie nicht zu kaufen und er Region, die Massentierhaltungsbetriebe sind alle lahmgelegt.

Überall in der Region geht die Ernte gerade los, die durch den Streik sehr eingeschränkten Transportmöglichkeiten machen das Einfahren der Ernte aber sehr schwer. Traotzdem sind hier bei Jatari schon ca, 20 Sack Kaffee verarbeitet und warten auf den Transport zu FAPECAFES. Ein großes Problem für Jatari ist die fehlende Liquidität. Ohne unsere Vorfinanzierung wäre die Kooperative nicht handlungsfähig. Umso wichtiger ist es hier, dass wir schon früh im Jahr die Verträge abschließen und das Geld wirklich zu Beginn der Ernte hier ist. Das müssen wir für die nächsten Jahre uns auch als Quijote noch viel deutlicher bewusst machen.

Auch dies war Thema bei der großen Versammlung an der zu unserer Freude fast 40 der 48 Mitglieder teilnahmen. Die Ältesten waren da und auch die Jüngsten. Alle waren sehr aufmerksam und äußerst interessiert. Wir verabredeten uns für kommenden Montag um gemeinsam an den neuen Maschinen zu arbeiten: Kaffee dreschen und sortieren, Kaffee rösten, Kaffee zubereiten und Kaffee probieren. Es sieht so aus, als ob Montag wieder viele dabei sein werden.
Heute entpulpten wir den geernteten Kaffee noch gemeinsam (mindestens 1 bis 2 Sack Exportqualität) und brachten ihn in die Fermentationsbecken. Zum gemeinsamen Essen gab es wieder den mit Palmherz gefüllten und im Bananenblatt gegarten Tilapia mit Yuka und scharfer Sauce. Der Besuch hier war wirklich erfreulich, wir sehen, dass es hier gemeinsam wirklich voranging, trotz unserer dreijährigen Abwesenheit und trotz COVID welches auch hier zu wirklichen Problemen geführt hatte.

Zurück ging es wieder per Taxi, Kanu, Taxi, zu Fuß Barrikade durchqueren, Taxi. Der am Amazonashafen Punta Ahuano (müsst ihr euch als "Strand" mit ein paar Motorkanus und ein paar Imbissrestaurants in Baracken vorstellen) vor nicht mal 10 Jahren gebaute internationale Flughafen ist mittlerweile ein "Lost Place". Nur einmal landete hier ein Düsenjet zur Einweihung (mit dem damaligen Präsidenten Ecuadors), wir profitierten auf unserem Weg durch die 35 km lange extra für den Flughafen durch den Dschungel gebaute zweispurige Zufahrtsstraße. Früher war hier Feldweg und ich  benötigte immer Stunden von Tena nach Ahuano. Nun ging es viel schneller....
Die Barrikade an der Napo Brücke war tagsüber weiter verstärkt worden, es kamen bei unserer Ankunft gerade wieder Lastwagen und Taxis mit weiteren vermummten und mit Lanzen bewaffneten Leuten an. Auch in Tena gab es abends eine größere friedliche Demonstration. Ganz anders war die Lage heute wieder in Quito. Das Militär und die Polizeieinheiten hatten nachmittags den Befehl bekommen mit Gewalt das seit zwei Tagen wieder von der Zivilgesellschaft als Versammlungsort genutze indigene Kulturzentrum in Quito zu räumen. Dies geschah unter der Massiven Anwendung von Tränengasbomben, welche in das riesige Auditorium mit Platz für tausende Leute (die sich auch darin befanden um einen Widerstandskongress abzuhalten). Der angrenzende Park "Arbolito" ist seit Tagen hart umkämpft. So auch heute wieder, nur etwas härter als die Tage zuvor. Der Einsatz von Gewalt war ja befohlen wurden....so schwärmten zig doppelt besetzte Polizeimotorräder in die Menge aus und verprügelten alle, die nicht schnell genug ein Versteck fanden oder sich in angrenzende Viertel flüchteten.  Der Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern nahm noch einmal zu. Die Lage ist weit davon entfernt sich zu entspannen. Die soziale Bewegung unter Führung der Indigenenorganisation CONAIE beharrt auf ihren 10 Forderungen und auf der Aufhebung des Ausnahmezustandes. Der Präsident befahl den Einsatz von mehr Gewalt. Während sich immer mehr Organisationen dem Streik anschließen und immer mehr Besetzungen ud Blockaden im ganzen Land stattfinden wächst auch der konservative Widerstand gegen den Streik. Meine Reise wird also erstmal ungemütlich bleiben.