Ecuador 2022


Tag 11

Liquidität

 

Wir fuhren morgens um 4:45 Uhr los und nutzten die um diese Zeit noch freien und nach dem Streik wieder freien Straßen um uns schnell Richtung Norden zu bewegen. Das Einzugsgebiet der von ASOSUMACO betreuten Basisgruppen ist ziemlich groß und reicht im Norden bis an die kolumbianische Grenze. Durch das schnelle und "freie" Fahren mit dem Taxi des ASOSUMACO Kollegen und -Fahrers Mario sahen wir das Ausmaß des Streiks in dieser durch die Ölindustrie gepräten Region in der Provinz Sucumbios. Wir passierten alleine auf dem Hinweg auf 190 Kilometern vierzig ehemalige Straßensperren. Sichtbar an den heute an den Straßenrand geschobenen gefällten Baumriesen auf Landstraßen um Schwerpunkte der Ölindustrie herum. Sichtbar durch Barrikadenreste an jeder größeren Kreuzung (Steine, Ziegel, Autoreifenreste usw.) und an den Ortseingängen der größeren Städte Lago Agrio und Coca. Sichtbar vor allem an den Spuren der Kämpfe um Shushufindi herum mit ausgebrannten Ölkonzern-Autos. Hier starb vor drei Tagen ein Soldat einen völlig sinnlosen Tod nur zwei Tage vor dem Ende des Streiks. Aus Sicht der Ölindustrie war es dringend nötig den Streik zu beenden. Sie stand kurz vor der kompletten Abschaltung nachdem gestern aufgrund der Blockaden und Besetzungen nur noch 30 % der normalen Menge gefördert werden konnten. Natürlich waren auch die Brücken über alle großen und riesigen Flüsse ebenso wie die Fähren blockiert gewesen. Diese Gegend war wirklich isoliert.

 

Ziel unserer Reise war eine regionale Aufbereitungsstation der regionalen Basisgruppe "Nueva Esperanza" in San Cristobal. Der sehr junge Produzent Jhon Muepaz hat hier eine Entpulpungsmaschine und gute Trockenzelte auf seiner Finca. Er verarbeitet die reif geernteten Kirschen seiner Nachbarinnen. Wir besuchten gemeinsam mit ihm zwei Produzentinnen die hier Kaffee mit wirklich hoher Produktivität anbauen. Eine der beiden Familien bringt pro Woche 20 Zentner reife Kirschen ein (Vater, Mutter und ein erwachsener Sohn sowie zwei jüngere Söhne nach der Schule). Das ist wirklich viel und bringt der Familie deutlich über 2500 Dollar im Monat. Was hier wirklich viel ist. Wir sprachen mit dem für seine jungen Jahre sehr gut ausgebildeten und sehr engagierten Jhon über alles Mögliche und konnten so einen ziemlich authentischen Einblick in das Leben der Kaffeeproduzent*innen hier gewinnen. Inklusive der riesigen Probleme durch die hinter der Grenze im Norden (Kolumbien ist 15 km entfernt) agierenden Kokain-Kartelle. Und inklusive dem Einblick ins wirkliche Landleben. Die Familien hier produzieren wirklich alles selber. Das sahen wir auch beim deftigen Mittagessen zu dem wir auf dem Hof von Jhon eingeladen waren. Zuerst gab es den schweren Eintopf Sancocho (Yuca, Banane, Kartoffel, Zwiebel auf Hühnerbasis) un dann Huhn mit Avocado auf Reis (sogar dieser wird selbst angebaut). Nur das kolumbianische Bier (es gibt ein Lädchen auf dem Hof und ich kaufte jeweils eines für alle) kam von woanders.

 

Was mir heute erst wirklich in dieser Deutlichkeit auffiel: ASOSUMACO ist mittlerweile eine Schnittstelle für verschiedenste regionale Basiskooperativen und auch engagierte Einzelpersonen aus diesen. Die Beratung, die Serviceleistungen und die Schulungen werden von Wilson sehr ernst genommen. Sie beziehen sich nicht nur auf die Mitglieder der eigenen Basiskooperative ASOSUMACO, sondern auf alle im Reisegebiet von Wilson und die Produzent*innen sind teilweise auf einem in jeder Hinsicht hohen Niveau. Und der Kaffee wird auch von allen anderen zu, für diese Gegend sehr hohen, Preisen aufgekauft, sofern er unseren Anforderungen entspricht.

 

Und normalerweise sofort bar bezahlt. Und genau das war heute bei Jhon nicht möglich. Eigentlich hätte ASOSUMACO letzte Woche 23.000 Dollar für einen LKW Ladung Kakao bekommen sollen. Der LKW wurde aber entführt und gestohlen. Das Zeug ist zwar versichert, aber die Kohle läßt auf sich warten. Desweiteren konnte eine weitere LKW Ladung die im Lager von ASOSUMACO liegt aufgrund des Streiks seit 2 Wochen nicht abgefahren werden. Also nochmal fehlende 23.000 Dollar. Und der Kaffee (die niedrigeren Qualitäten die regional weiterverkauft werden) genausowenig. Das Lager hier war voll. Nochmal viele tausend Dollar weniger Liquidität. Dies summiert sich auf hier bedeutsame Summen. Jhon hat aber volles Vertrauen und übergab uns 10 Zentner die wir mit unserem Toyota Pickup mitnahmen. Spricht für gute Zusammenarbeit...so etwas ist hier nicht üblich.

 

Heute morgen hatte ich mein restliches Reise-Bargeld bei ASOSUMACO gelassen damit es für den Ankauf im Verarbeitungszentrum genutzt werden kann. Abends bekam ich es dann wieder. So knapp muss momentan gerechnet werden.

 

 

Auf dem Weg besuchten wir auch noch 2 weitere Basisgruppen, die nicht so gut funktionieren. Hier hatte ASOSUMACO jeweils vorfinanziert und den Kaffee seit Monaten noch nicht bekommen. Auch das ist nicht gut für die Liquidität. Wir nutzten die Besuche um darauf hinzuweisen, dass es gerne weitergehen kann. Der Kaffee war an Coyotes verkauft wurden. Zu sehen war für uns: nicht nur die Kommunikation zwischen uns als Quitjote Kaffee und unseren ecuadorianischen Partner*innen hat durch die eingeschränkten Reisemöglichkeiten während der Pandemie gelitten. Überall muss viel nachgeholt werden.

 

Als wir nachmittags zurückkamen, wurde gerade ein kleiner LKW mit frischen gemischten Kaffeekirschen (reif, unreif, überreif) einer lokalen Verarbeitungsstation (Groß-Zwischenhändler) bei ASOSUMACO beladen. Der erste seit zwei Wochen. ASOSUMACO nimmt neben dem Kaffee für uns auch minderwertige Qualitäten an, um den Produzent*innen hierfür einen garantierten Preis zu zahlen. Das ist ein zusätzlicher Anreiz und dies schafft engere Beziehungen. Fast alle ernten auch unreif wenn es schnell gehen muss. So kann jede Qualität bei einer Station abgegeben werden. Bei den auch hier explodierten Treibstoffpreisen eine wichtige Sache. Und so kommt ASOSUMACO heute abends wieder an frisches Geld um morgen wieder mehr Kaffee ankaufen zu können. Morgen geht dann auch endlich der Kakao weg. Und die Papiere von der Versicherung kommen vielleicht an. Dann ist fast alles wieder gut.

 

 

Ich erarbeitete mir abends gemeinsam mit 3 Acopiadores noch ein paar Überstunden und entpulpte und wusch ein paar Zentner rote Kirschen die heute eingebracht wurden, unter anderem von der Präsidentin von ASOSUMACO Norma Siquiha. Nach 15 Stunden bin ich jetzt müde und schreibe diesen Bericht vor meiner letzten Nacht in den Kaffeegegenden. Ab morgen Nachmittag mache ich dann für einen Tag Wochenende bevor ich mich am Montag in Quito mit NGOs und Entwicklungshilfeorganisationen treffe um Kooperationen zu besprechen.

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